Offener Brief an die Plattform der Bürgerinitiativen
Offener Brief der „Plattform für ein humanes Bleiberecht“ zum „offiziellen Tag des Bleiberechts am 10. Oktober 2008
Die „großen“ NGO´s (Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, u.a.) haben den „Tag des Bleiberechts“ für den 10. Oktober ausgerufen und alle eingeladen mitzumachen.
http://www.tagdesbleiberechts.at/
Nachstehend eine e-mail, in der wir schon Ende Mai unsere Bedenken bezüglich der Forderungen und hohen Kriterien den InitiatorInnen mitgeteilt haben. Die jüngsten Entwicklungen in Oberösterreich haben gezeigt, dass – natürlich – auch Familien unter vier Jahren Aufenthalt von Abschiebung betroffen sind. Diese Menschen würden aber bei den „offiziellen“ Forderungen (fünf Jahre!) NICHT berücksichtigt werden. Daher sehen wir die Gefahr, durch ein zu zahmes „taktieren“ in dieser essenziellen Frage letztlich einen faulen Kompromiss zustimmen zu müssen, der wiederum den Druck auf jene Menschen erhöht, die dann eben nicht unter diese Regelung fallen.
Liebe Freundinnen und Freunde von der Plattform der Bürgerinitiativen,
Wir haben Eure Einladung erhalten, uns an der geplanten Kampagne „Bleiberecht jetzt!“ zu beteiligen.
Wir freuen uns, dass nunmehr beabsichtigt ist, mit einer gemeinsamen Kampagne der österreichischen Bleiberechtsinitiativen an die Öffentlichkeit zu gehen. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass unter uns einige Aspekte Eures Kampagnenvorschlags auf starke Bedenken treffen. Diese möchten wir an dieser Stelle Euch näher darstellen.
Eine zentrale, wenn nicht DIE zentrale, Forderung der Kampagne soll es sein, dass Flüchtlinge, die mindestens fünf Jahre hier sind, Bleiberecht erhalten sollen. Diese Forderung wird mit der Positionierung „Hier verwurzelt, hier geblieben!“ untermauert.
Als Beispiele genannt werden dabei zuerst nicht einzelne Flüchtlinge, sondern immer nur Familien („Familie Berisha, …, von Dennis, Arigona“). Wir denken, dass nicht der Eindruck entstehen soll, als würde sich die Kampagne nur für Flüchtlinge einsetzen, die in Familien im Sinne des österreichischen Familienrechts
leben. Immerhin gibt es genügend Flüchtlinge hier, die in anderen Formen des Familienverbandes, anderen Partnerschaftsformen oder allein hier leben. Wir hielten es für höchstproblematisch, wenn das Bestehen eines „geordneten“ Familienlebens zur Voraussetzung des Bleiberechts gemacht wird.
Die vorgeschlagene Parole „Hier verwurzelt, hier geblieben!“ möchten wir weiters nicht so verstehen, dass damit als zusätzliche Voraussetzung des Bleiberechts ein sog. hoher Integrationsgrad definiert wird. Gerade in Tirol zeigt sich, dass die gesellschaftliche Integration von Flüchtlingen durch die Verschickung in abgelegene Heime und durch willkürliche Ausschlüsse aus der Grundversorgung vehement behindert wird. Würde man das so verstandene „Verwurzelt-Sein“ nun zur unbedingten Voraussetzung des Bleiberechts machen, blieben diese Flüchtlinge schlechtergestellt oder gar unberücksichtigt.
Die Kampagne macht einen Aufenthalt von mindestens fünf Jahren zur Voraussetzung des Bleiberechts. Eine solche Festschreibung liegt gewissermaßen am obersten Rand dessen, was seit dem letzten Jahr an Kriterien für die notwendige Aufenthaltsdauer diskutiert worden ist. Wir erinnern daran, dass es in der Diskussion auch Vorschläge einer dreijährigen Aufenthaltsdauer gab und darüber hinaus bei der Diskussion um eine vorübergehende Aussetzung von Abschiebungen im Frühjahr 2007 von einem generellen Abschiebestopp also einem zumindest vorübergehenden bedingungslosen Bleiberecht die Rede war.
Wenn nun die Kampagne um das Kriterium eines fünfjährigen Mindestaufenthalts herum aufgebaut werden soll, so geben wir zu bedenken, dass damit wiederum und in großem Maßstab Flüchtlinge, die hier leben, unberücksichtigt bleiben werden.
Die Erfahrungen aus Deutschland zeigen klar, dass bei einem so hohem Kriterium ebenso der Druck auf die unberücksichtigten Flüchtlinge steigt, abgeschoben zu werden! Wir halten es für fatal, in einer breiten, öffentlichen Kampagne für das Bleiberecht sich in dieser Form in den Forderungen so zurückzunehmen.
Wie in anderen politischen Bereichen auch ist es schlichtweg notwendig, möglichst weitreichende Forderungen zu stellen – damit nicht am Schluss eine Regelung realisiert wird, die noch höhere Anforderungen an Flüchtlinge definiert!
Wir möchten jedenfalls auf die Gefahr aufmerksam machen, dass eine Forderung von fünf Jahren Mindestaufenthalt am Schluss dazu führen kann, dass dann – als „realpolitischer Kompromiss“ – z.B. eine Bleiberechtsregelung mit sieben Jahren Mindestaufenthalt umgesetzt werden würde. Wenn eine Bleiberechtsregelung mit hohen, für viele unerfüllbaren, Anforderungen an Flüchtlinge dazu führt, dass vielen Flüchtlinge damit die Möglichkeit, legalen Aufenthalt zu erreichen, versagt bleibt und sie umso stärker von Abschiebung bedroht werden, hielten wir eine solche Regelung nicht für einen „ersten Schritt in die richtige Richtung“, sondern für menschenrechtlich problematisch.
Daher möchten wir Euch bitten, diese Festschreibung in der Kampagne nochmals zu überdenken.
Viele Grüße,
die PLATTFORM FÜR EIN HUMANES BLEIBERECHT in Innsbruck